Schutz des Gehirns
Programmleitung: Prof. Dr. Dr. C. Reinsberger
Taskforce: Dr. Rasmus Jakobsmeyer
Team: Jessica Coenen, Carina Delling, Katrin Hemschemeier, Rebecca Schnitker
Der Fokus des Programms liegt auf Concussions im Sport. Leichte sportassoziierte Gehirnerschütterungen (Concussions) im Sport gehören zu den großen neurowissenschaftlichen Herausforderungen der Sportmedizin.
Jährlich konsultieren weltweit ca. 100-300 von 100.000 Menschen einen Arzt aufgrund einer Concussion (Cassidy et al. 2004). Da Experten davon ausgehen, dass viele Menschen mit Concussion möglicherweise keine ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen, ist es wahrscheinlich, dass die tatsächliche Inzidenz von Concussions jährlich 600 pro 100.000 Menschen überschreitet, das sind rund 42 Millionen Menschen weltweit (Cassidy et al. 2004). Im Sport ereignen sich allein in den USA zwischen 1,6 und 3,8 Mio. Concussions pro Jahr (Langlois 2006, Daneshvar et al. 2011, Harmon, 2013). Aufgrund einer starken Bagatellisierung der Verletzung in Alltag und Sport gehen Epidemiologen von einer immens hohen Dunkelziffer aus (McCrea et al. 2004, Harmon et al. 2013). Es ist bekannt, dass das Auftreten einer Concussion ein Risikofaktor für eine künftige Concussion ist (Gardner et al. 2015). Die Prävalenz von sich wiederholenden Minierschütterungen (z. B. durch Kopfbälle) ist noch unzureichend erforscht (Gardner et al. 2015). Ein besonders hohes Risiko im Sport besteht für Athleten in Kampf-, Sturz-, Kontakt und Kollisionssportarten (Boxen, Judo, Wrestling, Reiten, Skifahren, Radfahren, American Football, Rugby, Eishockey, Fußball, Basketball, Handball, ...).
Zeigen viele epidemiologische Studien, dass die Concussion-Rate im Sport in den letzten Jahren gestiegen ist (Lincoln et al. 2011, Bakhos et al. 2017) hat sich interessanterweise zugleich die Concussion-Exposition in vielen Risikosportarten in den letzten Jahren verändert – ein „secular trend“ -Phänomen. Gründe können z. B. die gestiegene Aufmerksamkeit und verbesserte Diagnostik sein (Daneshvar et al. 2011). Eine Studie im Fußball ergab beispielsweise die Reduzierung von Kopfverletzungen nach einer Regeländerung 2006 (Beaudouin et al. 2017). Auch American Football hat sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert: medizinische Aufsicht, Veränderungen der Spielregeln oder Concussion Leitlinien zielen auf die Sicherheit der Spieler ab. In den Jahren 2002 bis 2007 wurden 0,38 Concussions pro NFL-Spiel dokumentiert, 7,6% weniger als in den Jahren 1996 bis 2001 (Casson et al. 2010).
Wird eine Concussion sofort erkannt, diagnostiziert und gemäß Empfehlungen und Leitlinien behandelt, hat sie eine äußerst gute Prognose (bis zu 90% der Fälle heilen folgenlos aus) und Chronifizierungen sowie Folgeerkrankungen können reduziert werden.
Forschungsansatz:
Concussions zeichnen sich durch eine diffuse pathophysiologische und klinische Komplexität aus. Derzeit gibt es noch keine validen diagnostischen Biomarker für das Vorliegen einer Concussion. Eine differenzierte sorgfältige klinische, neurophysiologische und neuropsychologische Bewertung ist Grundstein für eine valide Diagnostik. Oberstes Ziel im Sport muss es sein, die Verletzung zu erkennen, ihre Mechanismen zu verstehen und den Verlauf positiv zu modulieren.
Unser Forschungsprogramm bündelt verschiedene klinisch-medizinische, neurophysiologische und neuropsychologische Techniken und Methoden zur Diagnostik, Versorgung und Verlaufskontrolle nach Concussions bei Sportlern. Die Verletzungsmechanismen in unterschiedlichen Sportarten und deren Auswirkungen auf Hirnfunktionen, Symptome und klinische Untersuchungsbefunde werden begleitend erfasst und analysiert.
Wir arbeiten gezielt anwendungsorientiert mit relevanten Athletenkohorten aus verschiedenen Sportarten regional, national, transnational und international (mit anerkannten Forschungseinrichtungen und Partnern im Leistungssport) und haben Erfahrung in der Leitung von komplexen, prospektiven, multizentrischen Studien im Fußball sowie differenzierte Fachkenntnisse in der klinischen und neurophysiologischen Diagnostik und Versorgung von Athleten mit Concussion.
Ausgangspunkt und Inspiration der Entschlüsselung der Verletzungsmechanismen sind die Daten aus der intensiven und sorgfältigen Arbeit mit betroffenen Athleten. Der Einsatz verschiedener Methoden in Diagnostik und Versorgung zielt zugleich auf die Entwicklung von besseren return-to-performance Programmen ab. Begleitende Herausforderung ist, die zur nachhaltig, prospektiven Datenerhebung im Leistungssport notwendige Sensibilisierung und Beteiligung aller in der Sportmedizin tätigen Ärztinnen und Ärzte, Sportler, Betreuer und Angehörigen.